07. June 2023, Latest news

Was ist mit Information Technology los?

Nach starken Kurssteigerungen seit Ende Oktober des letzten Jahres, die sich während rund zwei Wochen noch beschleunigten, ist Ruhe in Information Technology eingekehrt. War es nur ein Bärenmarktrallye, das mit einem aufsehenerregenden Strohfeuer endete? Wird man in Kürze sagen müssen: Wie gewonnen – so zerronnen?

Oder war es der Beginn einer neuen Phase in diesem an der Front der Innovation in Industrie, Dienstleistung und Verwaltung stehenden Sektor? Auf diese Fragestellung versuche ich nachstehend einzugehen.

 

Nicht zum ersten Mal steht der IT-Sektor im Mittelpunkt der Börsenkommentare. Waren es letztes Jahr die Rückschläge in den Indizes, sind es neuerdings die satten Gewinne, die seit Ende Oktober 2022 im MSCI Information Technology entstanden sind, wovon 33% allein auf dieses Jahr entfallen.

 

Noch stärker war der DJ US Semiconductors als Vertreter der stärksten Region in der stärksten Industrie unter den sechs im MSCI Information Technology versammelten Industrien, der 90% über dem Stand von Mitte Oktober 2022 notiert. Mit einem Zuwachs von 55% seit Jahresbeginn hat er den Sektor angeführt.

 

Natürlich kann es so nicht weitergehen. Trotzdem meine ich, dass sich der steigende Trend nach einer Konsolidierung fortsetzen kann.

 

Dafür sprechen mehrere Gründe. Der wichtigste aus technischer Sicht ist der, dass an der guten Entwicklung des Sektor-Indexes rund drei Viertel der Konstituenten beteiligt sind. Exzessiv gestiegen sind einige der höchstkapitalisierten Titel, darunter angetrieben durch den aktuellen (Über-)fluss an Meldungen einzelner Unternehmen und der dadurch ausgelösten Kommentare.

 

Eine Kombination, die aufhorchen lässt

Überreaktionen auf neue Meldungen und Preisbewegungen wie in einigen Titeln in den letzten zwei Wochen beobachtet, sind nichts Aussergewöhnliches. Die Kombination mit Unterreaktionen auf höherer Ebene, nämlich jener des Sektors, wird im Allgemeinen als eine interessante Konstellation angesehen. Wird sie von Aktien ertragsstarker Unternehmen angeführt, gilt sie als Vorbote für grössere Umbrüche im Sektor.

 

Worin besteht die Unterreaktion? Meiner Meinung nach darin, dass es eine Resistenz gibt gegen die Einsicht, dass die Erholung seit dem Rückschlag von Januar bis Oktober 2022 kein Bärenmarktrallye ist, sondern ein mittelfristiger Aufwärtstrend, der die Chancen hat, den alten primären Aufwärtstrend wieder aufzunehmen.

 

Verdrängt wir nicht nur das Kursmomentum bei rund 75% der Konstituenten, sondern auch die Qualität von Ertrag, Bilanzen und Marktdurchdringung einer Vielzahl von Unternehmen im Sektor, nicht nur einzelner «Shooting Stars».

 

Die fast ausnahmslose Zuordnung der Stärke des Sektors in den Kommentaren auf allen Kanälen auf Euphorie, Sorglosigkeit oder Spekulation, steht wie eine Entschuldigung da für verpasste Chancen seit Oktober, weil man damals lediglich ein Bärenmarktrallye erwartete.

 

Das entspricht ganz der Definition des Begriffes «Unterreaktion», mit welchem der Umstand beschrieben wird, dass in gewissen Marktphasen neue Entwicklungen, die im Widerspruch zu eindrücklichen alten Erfahrungen stehen, nur langsam akzeptiert werden. Die alte Erfahrung besteht in diesem Fall aus einem Kursverlust auf Ebene des MSCI Information Technology von 38.47% zwischen dem 28. Dezember 2021 und dem 13. Oktober 2022, angereichert um all die Erklärungen der fundamentalen Hintergründe für diesen Rückschlag, und noch zusätzlich verstärkt durch die Erfahrungen von Baisse-Phasen in Information Technology, die fast alle anderen Baisse-Erlebnisse in den Schatten stellen. Und schlussendlich noch zusätzlich beeinflusst von Korrelationen zwischen Konjunktur und Zinsen einerseits und dem Sektor andererseits, die hergestellt wurden, als Information Technology in keinster Weise vergleichbar war mit der Verfassung der darin vertretenen Unternehmen im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.

 

In meiner Interpretation liegt nicht eine spekulative Blase vor, sondern eben diese erfolgversprechende Kombination der Überreaktion in gewissen Aktien, verbunden mit einer Unterreaktion auf die Beurteilung des gesamten Sektors, und zwar sowohl technisch als auch fundamental. Das ist eine gute Mischung, um in der Schwäche zu kaufen, sofern man nicht bereits ausreichend engagiert ist.

 

Alfons Cortés, Senior Partner

 

Druckversion

Share post