Obschon Ökonomen und Wallstreet-Auguren Ende 2022 Amerika fast einhellig eine Rezession vorhersagten, expandiert die weltgrösste Wirtschaft eineinhalb Jahre später noch immer» schreibt Christoph Gisiger am 7. Juni unter dem Titel «Showdown am amerikanischen Arbeitsmarkt» in The Market.
Wer nicht «out of the box» zu denken bereit oder in der Lage war, konnte aufgrund der damaligen Datenlage keine andere Prognose stellen. Selbst empirische Daten legten nahe, als Folge der eingeschlagenen Geldpolitik eine Rezession in Aussicht zu nehmen.
Seit Ende 2022 ist der S&P 500 um 40% gestiegen, der S&P 100 um 51%, und der Nasdaq 100 um 74%.
Einer wagte allerdings es anders zu sehen: Russell Napier. Ich habe ihn im Newsletter November 2022 aus einem Interview das Mark Dittli mit ihm in The Markt führte zitiert. Ich meinte im Newsletter November 2022 und in vielen anderen Publikationen, dass die marktgenerierten Daten die Sicht von Russel Napier stützten und es weiterhin tun.
Worin die Schwierigkeiten lagen
Die Schwierigkeit Ende 2022 lag jedoch selbst für erfahrene Anleger vor allem darin, sich zu befreien von der Tunnelsicht, die sich durch die Kursverluste an den Aktienmärkten eingestellt hatte.
Die Erfahrung eines Rückganges von 27% im MSCI Welt und im S&P 500 in einem Jahr, und von noch viel mehr in etlichen anderen Indizes, schärfte den Blick für negative Nachrichten. Augen und Ohren waren für positive Meldungen verschlossen. Man befasste sich mit der Wirtschaft und kaum mit den Vorgängen in den Aktienmärkten selbst, ausser es kam zu Kursabschlägen, die die eigene Interpretation der Welt bestätigten.
So übersah man die unterschwelligen Prozesse mit Signalcharakter in den Aktienmärkten die im Newsletter von November 2022 beschrieben wurden.
So sieht es heute aus
Gemessen am MSCI Welt hat seit der Konsolidierung von August bis Oktober 2023 jeder Monat ausser April dieses Jahres positiv abgeschlossen. Das hat zu einem beachtlichen Anstieg in dieser kurzen Zeit von 26% geführt, bei Information Technology sind es sogar 37%. Eine Konsolidierung würde nicht überraschen.
Ich gehe davon aus, dass man dann sehr schnell Gründe finden wird, warum die Hausse endgültig zum Erliegen gekommen sei. Ob es gute Gründe sein werden, wird die fernere Zukunft zeigen. Momentan weist nichts darauf hin, dass die positiven Trends aller führenden Regionen und Sektoren eine höhere Gefährdung aufweisen als innerhalb konsolidierungstypischer Bandbreiten zu schwanken.
Was werden die anderen tun?
Dabei bleibe ich durchaus offen für Signale, die eine andere Entwicklung erwarten lassen, wie Professor Dr. Thorsten Hens in der Neuen Zürcher Zeitung vom 24/25 November 2001 (richtig: zweitausendundeins) schrieb: «Führt man den Gedanken in die Finanzmarktökonomie ein, dass Märkte als evolutorische Prozesse aufgefasst werden können, lässt sich daraus ableiten, dass die beste Anlagestrategie nur unter Berücksichtigung der Strategien der übrigen Marktteilnehmer abgeleitet werden kann.»
Das ist ein ganz anderer Zugang zu den Aktienmärkten als jener, der die Bedeutung des eigenen Wissens überhöht und die Handlungsmotivation aller anderen herabsetzt.
Was Professor Hens vor über 20 Jahren geschrieben hat, hat sich mittlerweile in der Finanzwissenschaft als bedeutende Forschungsrichtung etabliert. Sehr empfehlenswert ist das Buch «The Adaptive Markets Hypothesis» von Professor Andrew Lo und Ruixun Zhang. Die Autoren zeigen, wann Märkte durchaus effizient funktionieren, stufen aber Verhaltensmuster, wie sie in Paniken (es gibt, notabene, nebst Verkaufs- auch Kaufpaniken) nicht als irrationalen Wahnsinn ein, sondern untersuchen, wie man solche Phasen erkennt und sich darin adäquat verhält. Mit einer Fülle empirischer Daten und ausgeklügelten Experimenten zeigen sie, wie man die Marktdynamik nutzen kann. Der Untertitel des Buches ist Programm: «An Evolutionary Approach to Understanding Financial System Dynamics».
Alfons Cortés, Senior Partner