15. Juli 2024, Aktuelles

Halbleiter spielen erste Geige

Derzeit leitet sich, was an den Aktien-Märkten geschieht, von der Entwicklung der Halbleiter-Industrie in Nordamerika ab. Was diese kleinen Scheibchen zu bewirken vermögen, fasziniert. Was Millionen von Menschen mit den Aktien der Unternehmen, die diese Scheibchen herstellen, anstellen und welcher Einfluss das auf die Aktien-Märkte hat, ebenfalls. Das geht weit über die Halbleiter-Industrie hinaus. Zunächst erfasst es vor allem die US-Börse als Hort der meisten und grössten Semiconductors-Aktien. Auf diesem Markt beziehen sich meine untenstehenden Kommentare.

Die Marktbreite ist im grössten Aktienmarkt der Welt, der 70% des MSCI Welt ausmacht, auf dem tiefsten Stand des Jahres angekommen. Die höchste Messung lag am 12. April mit 74.5% vor. Seither nimmt sie von Monat zu Monat auf mittlerweile knapp über 50% ab. Das fällt mit der Beschleunigung des Aufwärts-Trends im DJ US Semiconductors zusammen:

 

 

Die vertikale rote Linie markiert eine Zäsur im Markt, die nicht nur die Marktbreite betrifft. Seit dem 19. April wird es zunehmend schwierig, ausserhalb von Information Technology Aktien zu finden, die positive relative Stärke zum S&P 500 aufweisen. Das bedeutet, dass die Halbleiter-Industrie andere Segmente  verdrängt. Das ist eine ungute Entwicklung. Aus der Geschichte lernend, muss man jedoch festhalten, dass sie lange anhalten kann. Ein sehr ähnliches Muster begann beispielsweise im April 1998. Die daraus erwachsene spekulative Blase platzte erst im März 2000. Von April 1998 bis März 2000 hatte der S&P 500 39.7% zugelegt, der S&P 100 57.7% und der Nasdaq 100 285.8%.

 

Worauf es zu achten gilt

 

Die Konzentration auf ein schmales Segment kann noch weiter gehen. Und es kann wie 2000 enden. Es kann aber auch sein, dass Konsolidierungen oder Korrekturen vorkommen, so dass die begonnene Blasenbildung sich «unterwegs» über negative Rückkoppelungen korrigiert, ohne jemals platzen zu müssen.

 

Ein starkes Momentum hat in der Geschichte grosser Märkte auf Ebene der Indizes jedenfalls nie ohne die vorangegangene Ausbildung gewisser Erscheinungen ein unrühmliches Ende gefunden. Dazu gehören insbesondere

 

  • eine Absenz von immer wieder ablaufenden Konsolidierungen;
  • eine Blasenbildung in den 20- und 40-Monate-Bollinger-Bändern, deren untere Begrenzung nach oben dreht;
  • eine Zunahme der Volatilität;
  • eine Abnahme des Momentums;
  • eine Kapitulation der Bären in der medialen Kommunikation und in der Auseinandersetzung mit den Bullen.

 

Enorm hilfreich, um das Momentum zu beurteilen sind die sogenannten «Kerzen», die ich hier nicht weiter bespreche, weil einige Erfahrung Voraussetzung ist für deren richtige Interpretation.

 

Hilfestellungen bieten auch 10-, 20- und 40-Wochen-Bollinger-Bänder.

 

Die Stärke von Semiconductors belastet andere Sektoren

 

Seit Mitte April als die Beschleunigung des Aufwärtstrends in Semiconductors einsetzte, sinkt die relative Stärke zum MSCI Welt und erst recht zum S&P 500 und zum Nasdaq in den allermeisten nach Ländern und Sektoren organisierten Indizes. Die herausragende Ausnahme stellen Nikkei 225, Topix und erst recht Topix 100 in Japan dar.

 

Mutwillig das Ende der Hausse auszurufen wäre verfehlt, da immerhin noch über 50% der Aktien an ihr beteiligt sind, wenn auch mit unterschiedlichem Momentum. In Japan liegt die Markt-Breite bei über 70%.

 

Ebenso unangebracht wäre eine Überbewertung der Gefahr, die sich aus der begonnenen Blasenbildung kurzfristig erwachsen könnte. Sie liegt weniger in heftigen Rückschlägen oder gar in einer Trend-Wende von Semiconductors als darin, dass Anlagen in anderen Sektoren, wie bereits weiter oben angemerkt, nicht gut laufen. Ein Beispiel, wie gegen Ende einer Blasenbildung Verschiebungen in der Kapitalisierung stattfinden können, zeigt ein Zitat aus meiner Kolumne vom 2. Februar 2000 in Finanz und Wirtschaft: «Innerhalb eines Jahres stieg der S&P 500 um 9%. Das ist einem Anstieg des Technologie-Sektors im S&P 500 um 61% und des Kapitalgüter-Sektors um 6.6% zu verdanken. Alle anderen Sektor-Indizes blieben entweder stabil oder verloren erheblich, wie die Schlusslichter zeigen: Konsumgüter des täglichen Bedarfs -30%, Pharma -21%, Finanz -16%. Lediglich 25% der New Yorker Aktien schlossen 1999 auf einem höheren Jahres-End-Niveau. Historisch gesehen war so eine Konzentration eines nur über höhere Kurse zu befriedigenden Nachfrage-Überhangs auf wenige Sektoren und Titel immer der Vorläufer scharfer Korrekturen oder gar länger anhaltender Baisse-Märkte.»

 

Die Kolumne endete: «Der Volksmund sagte früher, dass weise Anleger die letzten 10% einer Hausse anderen verschenken würden. Es könnte sehr wohl sein, dass die 9%-Zugabe des S&P 500 während der vergangenen zwölf Monate diese letzten 10% darstellen.» Soweit wie damals im Februar 2000 sind wir noch lange nicht. Ich denke aber, dass man aber recht gut wissen kann, worauf man achten muss um auch in dieser Markt-Phase zu navigieren.

 

Alfons Cortés, Senior Partner 

 

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