07. Dezember 2023, Aktuelles

Gedanken zum magischen Zwerg

Gold ist etwas Besonderes. Ich habe es schon als den magischen Zwerg bezeichnet. Ein Zwerg deswegen, weil die Kapitalisierung von Gold mitsamt Goldminenaktien sehr klein ist. Aus Sicht der Performance spielt es keine grosse Rolle, ob man in einem Portfolio Gold hat oder nicht. Magisch deswegen, weil Gold manchmal verklärt wird.

Lange Perioden nicht nur relativer Schwäche, sondern starker Kursrückschläge, werden weggesteckt, als sei nichts geschehen. Dabei ist Gold nicht immer die sichere Wertaufbewahrung, als welche das gelbe Metall proklamiert wird.

 

«Wie wir alle schauen auch die Zentralbanken nur einen Zug an, der gerade vorbeifährt», schreibt Prof. Charles Wyplosz in seinem Beitrag in «Finanz und Wirtschaft» vom 6. Dezember.

Zum Glück fahren in der Welt der Anleger jeden Tag mehrere Züge vorbei, und nicht selten zur gleichen Zeit in beide Richtungen. So kann es aber durchaus sein, dass wir vor lauter Zügen gar nicht zur Tat schreiten können.

 

Derzeit geht es mir so beim Gold. Im August 2020 erreichte der Gold Future 2’089.20 Dollar. Nach starken Schwankungen schloss er gestern nach einer Höchstnotiz am 4. Dezember von 2'152.30 Dollar auf 2'043.40. Ob das der Beginn eines Ausbruchs aus dem Seitwärtstrend werden wird, ist mir nicht schlüssig.

 

Gold kann zu einer mehrjährigen Anlegerfalle mutieren. Wenn jemand zum Beispiel im Januar 1980 Gold kaufte, mussten 850 Dollar hingeblättert werden. Dieser Preis wurde erst im Januar 2008 wieder erreicht. Dazwischen lag eine Tiefstnotiz im Juli 1999 von 252.93 Dollar.

Im Juli 1999 schaute der langfristig orientierte Investor nach einer Halteperiode von knapp 20 Jahren auf einen Kursverlust von 70% in US-Dollar, der sich in Folge der Werteinbusse der US-Währung in Schweizer Franken auf 82% ausgeweitet hatte.

 

Da konnte man philosophisch mit Yogi Berra feststellen, dass «die Zukunft nicht mehr das ist, was sie einmal war».

 

Auch langfristig Orientierte investieren nicht um einen Verlust von 80% mit der lapidaren Feststellung zu quittieren, dass die Halteperiode von knapp 20 Jahren nicht langfristig genug sei für den Erfolg einer auf lange Sicht konzipierten Anlage.

 

Nach nunmehr knapp 43 Jahren nach der damaligen spekulativen Blase, die Gold im Januar 1980 auf 850 Dollar gebracht hatte, ist der Goldpreis in US-Dollar um rund 140% gestiegen, was im Vergleich zum Kursgewinn des MSCI Welt in Dollar von 2’080% miserabel ist.

Nun mag – und wird – man mir entgegenhalten, dass Gold einen Schutz gegen Katastrophen biete.

 

Tut es das? In grossen Krisen wurde der Privatbesitz von Gold ganz einfach verboten.

Im Übrigen wurden in den mehr als 50 Jahren meiner Präsenz in den Finanz- und Kapitalmärkten mehr Krisen ausgerufen als ich Finger an beiden Händen habe. Nur eine hatte das Potenzial, so verheerend zu werden wie jene der 1930-er Jahre – die Finanzkrise 2008.

Dank der Massnahmen jener staatlichen Einrichtungen, denen in weiten Kreisen wenig Kompetenz zugestanden wird, wurde sie entschärft.

 

Ist es nicht auffallend, dass die Zahl der kleinen Beben in den letzten rund 100 Jahren eher zugenommen hat, die der ganz grossen Krisen im Vergleich zum Jahrhundert vor 1930 aber sehr selten geworden sind? Hat etwa Walter Wriston den Nagel auf den Kopf getroffen, als er feststellte «the systems bends, but it doesn’t break»? Ich habe diesen Satz schon oft zitiert, weil ich der Meinung bin, dass er den Erfolg der Akademisierung des Finanzwesens, die erst in den 1930-er Jahren zaghaft einsetzte, reflektiert.

 

Gold demystifiziert betrachten

Gold sollte nicht weniger kritisch beurteilt werden wie jede andere Anlage auch. Wir alle wissen, dass präzises Timing in einem komplexen System nicht möglich ist. Komplexe Systeme sind nicht linear, und sie sind emergent. Das trifft nicht nur auf die Finanzmärkte zu, sondern auch auf die Wirtschaft. Daher funktioniert die Planwirtschaft nicht. Man kann ein System, in dem Millionen von Menschen teilnehmen, nicht so konditionieren, dass es auf den Input spezifischer Faktoren ein vorausberechnetes Ergebnis herbeiführt. Aus dem gleichen Grund sind Prognosen nicht möglich, und wenn Prognosen nicht möglich sind, gelingt präzises Timing auch nicht. Aber die Gegenwart auf den Punkt zu bringen und zu definieren, was ein Trend ist und wann einer vorliegt, liegt durchaus im Bereich des Machbaren.

 

Der seit August 2020 bestehende Seitwärtstrend des Goldpreises ist nicht gebrochen. Er wurde von vier Bullenfallen geschmückt. Bullenfallen lassen viele Enttäuschte zurück. Daher muss die Latte erhöht werden, welche die Feststellung erlaubt, ein Aufwärtstrend sei entstanden. Ein Aufwärtstrend ist aber meiner Meinung nach bis jetzt nicht entstanden.

Die Goldminenaktien, die eine höhere Volatilität als der Goldpreis aufweisen, haben die neuesten Avancen des Goldpreises nur mässig quittiert. Das werte ich als Zeichen, dass auch im Aktienmarkt die Beweislast bei den Bullen liegt.

 

Ich will nicht ausschliessen, dass ich in Kürze meine Meinung ändere und Gold kaufe. Dann greife ich auf das Dictum von John Maynard Keynes zurück, der den Vorwurf, er habe seine Meinung geändert, mit der Aussage parierte: «When the facts change, I change my mind. What do you do, Sir?».

 

Wann haben sich die Fakten geändert? Für mich, wenn der Goldpreis über 2'100 US-Dollar steigt und danach konsolidiert und diese Konsolidierung über dieser Latte bleibt.

 

Alfons Cortés, Senior Partner

 

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