03. May 2023, Latest news

Divergenzen schlagen Wurzeln

Die allzu einseitige Betrachtung von «Bullenmarkt» oder «Bärenmarkt» gibt keine Hilfestellung in der derzeitigen Marktverfassung. Nicht einmal für die in die Schlagzeilen geratene Bankenbranche trifft sie zu.

Im Jahre 2008 gab es eine grosse Finanzkrise, die – darin sind sich die meisten Kommentatoren einig – zu einer grossen Depression à la 1929 und Folgejahre hätte ausarten können. Regierungen und Notenbanken, die ähnlich wie die Polizei am 1. Mai in den Augen mancher alles nur falsch machen können, haben das Desaster zu verhindern gewusst.

 

Jetzt taumeln ein paar Banken – und von der Bilanzsumme her gesehen für europäische Augen nicht allzu kleine – im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

 

Welche Assoziationen liegen nahe? Natürlich jene mit der zeitlich am nächsten liegenden Krise, die eine ganz grosse Emotion ausgelöst hat – Angst – und mit dem Jahr 2008 datiert werden kann.

 

Wie hat die Börse sich seit dem am 9. März ausgelösten Schock entwickelt?

 

Der MSCI Welt ist um 4.4% gestiegen, der S&P 500 um 5%, der DJ Stoxx Europe 600 um 1.25%. Der MSCI Financials hat 4% verloren, der DJ Stoxx 600 Banks 12% und der DJ US Banks 17%.

 

Das wird nicht der letzte Akt im Drama sein. Das ist auch nicht die Frage, die uns herumtreiben sollte. Die Frage ist, wie wir das Leiden der bisherigen Opferbanken einordnen sollen: Ist sie Fanal für etwas Neues oder der Anfang vom Ende einer Entwicklung, die, wenn man auf die relativen Preise achtet, bereits Ende 2021 einsetzte?

 

Aus meiner Sicht nicht Fanal, sondern eine vertiefte Trennung von Spreu und Weizen. Für eine Entwicklung wie etwa 2008 liegt die Vernetzung, welche die damalige Krise auslöste und verschärfte, nicht vor. Eher liegen Ähnlichkeiten mit der Savings & Loan Krise vor, die 1986 begann und 1995 als beendet galt.

 

Die Reaktion der Aktienmärkte bestätigt diese Einschätzung. Trotzdem gilt es, wachsam zu sein, und das heisst: Beobachten, ob es dabei bleibt oder nicht.

 

Bilder grosser Divergenzen

Die relative Schwäche des DJ US Banks zu S&P 500, MSCI Welt und DJ Stoxx 600 ist schon länger auffällig. Man sieht es in der relativ zu den drei obgenannten Messlatten negativen Entwicklung des DJ US Banks seit Februar 2022:

Noch schlimmer steht es um die US-Regionalbanken. Beispielhaft für viele und all jene, die bislang in den USA in Schwierigkeiten geraten sind, ist die First Republic Bank San Francisco:

Hier haben wir ein zusätzliches Fenster auf Platz 4 hinzugefügt, nämlich die relative Performance zum DJ US Banks.


Was in der prominent in Erscheinung tretenden Bankenszene geschieht, ist meines Erachtens kein Vorbote einer bedrohlichen, aus der Bankenwelt hervorgehenden Entwicklung, sondern Symptom eines seit längerem ablaufenden Prozesses der ganz einfach gegen amerikanische Banken als Gruppe, aber nicht gegen einzelne Titel spricht, wie der Chart von JP Morgan während der letzten 12 Monate zeigt:

Auf obiger Grafik sehen wir den Chart von JP Morgan in «Kerzenform», grün Bank of America, braun DJ US Banks, orange Citigroup, grau S&P 500, und rot DJ Stoxx Europe 600 Banks.

 

Das ist die neue Ordnung

Die obige Grafik ist stellvertretend für das dominierende Muster an den Aktienmärkten weltweit und steht für die massiven Divergenzen, wie sie in allen Sektoren und Regionen vorkommen, und zwar in einem Ausmass, wie sie seit Jahren nicht mehr vorzufinden waren. Diese Divergenzen werden prägend bleiben auf vielen Ebenen, so lange die Makrodaten nicht grundsätzlich für die Anlageklasse Aktie sprechen und gleichzeitig Aktien von Unternehmen gesucht und gekauft werden, von denen erwartet wird, dass sie auch unter den gegebenen Umständen positive Resultate für ihre Aktionäre werden erwirtschaften können. Bei dieser Suche wird man weniger auf Bankaktien stossen als auf Titel aus anderen Industrien. Das ist aber noch lange nicht die Ursache für eine globale Banken- oder gar Finanzkrise. Allerdings wird man auch nicht die kompakten, 80-90% der Aktien erfassenden Aufwärtstrend replizieren, die von 1982 bis 2000 und erneut teilweise im neuen Jahrhundert vorzufinden waren. Sie haben Denkmuster geprägt die teilweise einer Revision unterzogen werden sollten.

 

Alfons Cortés, Senior Partner


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